ДWillst Du Dich bei uns ums Militдr drьcken?У
Im Waiseninternat Gorodnja ist Zivildienstleistender Finn Simonis Hausmeister und Freizeitpдdagoge zugleich
Die beste Sprachschule war die Arbeit
mit dem alten Hausmeister: Beim Schlцsserreparieren und Fensteraustauschen
lernte der deutsche Zivildienstleistende alles, was man ihm im
Russisch-Intensivkurs in Deutschland noch nicht hatte
beibringen kцnnen. Seit Sommer letzten Jahres absolviert der 19jдhrige
Deutsche durch die Vermittlung der Konstanzer Kreuzpfarrei im Waiseninternat
Gorodnja in der цstlichen Ukraine seinen Zivildienst.
Vormittags streicht der Helfer ein Zimmer an oder verrichtet technische Arbeiten; nachmittags schlьpft der Zivi in die Rolle des Freizeitpдdagogen: Er unterrichtet die Kinder im Flцten≠spiel, singt mit ihnen zur Gitarre, bastelt und wird als Nachhilfelehrer fьr Englisch gebraucht.
Zugleich koordiniert der 19jдhrige weitere Hilfsprojekte aus dem Landkreis Konstanz vor Ort, listet auf, wor≠an es fehlt und hдlt Kontakt zu Elisabeth Wilkens, die von Konstanz aus das langjдhrige Hilfsprojekt Gorodnja betreut. Von einem groяen Erfolg der Konstanzer Hilfe konnte Finn anlдsslich seines Konstanzer Kurzbesuchs berichten: Das Landwirtschaftsprojekt funktioniert!
Eigene Ernte
Ein gestifteter Traktor mit Zusatzgerдt wurde zur Bewirtschaftung ei≠gener landwirtschaftlicher Flдchen eingesetzt. ДWir haben im letzten Jahr gemeinsam mit den Kindern Kartoffeln, gelbe Rьben und eigene ƒpfel geerntetУ, berichtet Finn.
Dennoch bleibt die Situation der ьber 200 Waisenkinder, die in Go≠rodnja eine solide Schulausbildung erhalten und ein neues Zuhause fin≠den, bedrohlich. Zur medizinischen Versorgung fehlt es am Notwendigsten: Pflaster, Binden, Desinfektionsmittel und einfachste Medikamente sind nur fьr sehr hohe Preise zu bekommen. ДFьr jede Familie ist es eine Katastrophe, wenn jemand krank wird und ins Krankenhaus muя, weil man dorthin alles selber mitbringen muяУ, sagt der Zivildienstleistende. Fьr die Internatskinder werden in solchen Fдllen Medikamente und Hilfsgьter aus dem Landkreis Konstanz eingesetzt.
Daя Finn Simonis freiwillig in ein von Arbeitslosigkeit, Auflцsung aller Sicherheiten und grausamer Not geplagtes Land gekommen ist, kцnnen viele Ukrainer nicht recht verstehen. ДIch wurde immer wieder gefragt: ДWillst Du Dich bei uns ums Militдr drьcken?У Doch inzwischen hat der deutsche Helfer das Gefьhl, daя sein Dienst dort mehr ist, als die praktische Mitarbeit im Alltag.
Die Menschen fьhlten sich in ihrer Selbstachtung gestдrkt, weil der Auslдnder offenbar gerne in Gorodnja lebe und sich dort sichtlich wohl fьhle.
Zeiten, in denen jeder nur ums eigene №berleben kдmpfe. 70 Prozent haben keine Arbeit sind und das Selbstbewuяtsein der ganzen Nation am Boden liege, scheint es so, als werde der Dienst des 19jдhrigen Deutschen in Gorodnja auch als Ausdruck menschlicher Achtung vor den Gastgebern empfunden.
In ihrer aussichtslosen Lage, ohne Hoffnung auf einen Arbeitsplatz nach der Schule und Berufsausbildung, schauen die Kinder des Waiseninternats mit groяen Augen durch das Melienfenster in den Westen: Aus dem Fernsehprogramm sind die Spielfilme aus sowjetischer Zeit beinahe vцllig verschwunden. Nun laufen amerikanische Seifenopern, so der ДDenver ClanУ, und Arnold Schwarzenegger zeigt, wie man im Westen die Kon≠flikte lцst. ДEin Buch kostet sieben bis zehn Mark, ein Monatsgehalt be≠trдgt 100 bis 150 Mark. Da wird na≠tьrlich nicht so viel gelesen", berichtet Finn von seinen Eindrьcken.
Im Oktober kehrt der Zivi nach Deutschland zurьck. Er habe Abstand zum Leben in Deutschland bekommen, eine neue Kultur kennengelernt und Orientierung fьr seinen eigenen Lebensweg gewonnen. In seiner Heimat will er Philosophie und Jura studieren: Eine Kombination, die ihm helfen dьrfte, sich auch kьnftig in scheinbar aussichtslosen Situationen zurecht zu finden, ohne den №berblick zu verlieren.
Tobias Engelsing